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Urheberrechtsgesetzpraxis und Computerkriminelle

Vielen werden die Methoden des Herrn Gravenreuth durch Presse, Funk und Fernsehen bekannt sein. Wer in Computermagazinen beispielsweise Shareware oder Computer zusammen mit Software zum Verkauf inseriert, dem kann es passieren, daß er Post bekommt von einer minderjährigen Computerbegeisterten, die Software tauschen möchte und auch noch dieses und jenes Spiel sucht, in Kinderschrift natürlich.

Schickt der unwissende Sünder nun eines der angefragten Spiele an dieses Kind, bekommt er kein Dankesschreiben der Beschickten, sondern einige Wochen später eine saftige Abmahnung des Münchner Urheberrechtsanwalts Gravenreuth & Partner, die Aufforderung eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben und eine Kostenaufstellung über rund 2500,- DM. Wobei sich die Anzahl der Unterlassungserklärungen und der zu zahlenden 2500,- Markseinheiten beliebig multiplizieren kann, je nach Anzahl der betroffenen Urheberrechtsinhaber (Softwarefirmen), für die Herr Gravenreuth eine Vollmacht vorweisen kann.

Im Extremfall kommt da eine Existenzgrundlage zusammen. Der Anwaltsargumentation zufolge sei dies zwar schmerzlich für den Betroffenen, aber ein gewisser Lerneffekt bleibt eben auch nicht aus, und darum ginge es. Die geläufige Methode des illegalen Softwarehandels ist der Kleinanzeigen-Handel allerdings nicht. Professionell wird so was in sogenannten "Trader-Mailboxen" betrieben. Hier kann der zugelassene User, und dies wird er gegen Entgelt oder durch das Selbst-Einspielen nicht-lizensierter Software, allerlei Saftware downloaden.

Bekannt ist, daß, wenn dem Münchner Anwalt eine solche Trader-Mailbox bekannt ist, und ein hinreichender Verdacht bzw. ein Beweis für den Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz vorliegt, diese sehr bald und meistens in aller Frühe Besuch von der Polizei bekommt. Manchmal wird auch ein MEK um Hilfe gebeten, wenn Hinweise für Vorbereitungen zur Beweismittelvernichtung vorliegen.

Mitte 1993 begab es sich, daß Hinweise sich dahingehend verdichteten, daß der - durch Verkauf von Hacker-Tricks an zahlungskräftige Kundschaft im Kriminellen-Milieu und an Fernsehsender - in der Hackerszene wenig beliebte "Kimble" in München eine solche "Trader-Box" betrieb, wo munter allerlei Urheberrechtsverstößen, dem Handel mit "Calling-Cards" und anderen Sachen nachgegangen wurde. Auf diesen Fall bei einer Zusammenkunft mit CCCIern hingewiesen, errinerte sich Herr Gravenreuth zunächst an seinen letzten Urlaub, Höhenluft sei ja so gesund und überhaupt. Mit etwas Nachdruck gefragt, fiel der Vergleich zu Kleinanzeigen. Auch hier gebe es ja Anbieter nichtlizensierter Software, die Ärger mit der Polizei bekommen würden, und andere eben nicht.

Das erklärte natürlich auch, warum die Accounts in Kimbles BBS "voice validated" per Telefonanruf auf Angabe der richtigen Rufnummer überprüft waren. Eine amtliche Adressensammlung. "Amtlich" auch im Zusammenhang gesehen mit Kimbles Zusammenarbeit mit einem Herrn Pohl, Betreiber des in Hannover ansässigen Instituts für Informationssicherheit.

Herr Pohl ist schon einige Jahre vorher in der Hackerszene bekannt geworden, und zwar als Leiter der Abteilung des Verfassungschutzes, die mit den "KGB-Hackern" befaßt war. Jetzt ist er "ehemaliger" Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, was das auch immer bei einem Geheimdienst heißt. Dieser hatte irgendwann die brilliante Idee, durch Kimble einen "anonymen Fragebogen" in einige Phreaker-Mailboxen zu senden. "Ganz anonym" sollte hier angegeben werden, was man denn so mache und überhaupt.

Zur CeBIT-Zeit, Mitte März, gab es dann mal wieder Schlagzeilen: die Staatsanwaltschaft in Deggendorf (Bayern) machte von sich reden, als sie in Zusammenarbeit mit dem LKA München zeitgleich 60 Hausdurchsuchungen und einige Verhaftungen im gesamten Bundesgebiet vornahm. Tatvorwurf: Handel mit "Blue-Boxes und Calling-Card-Codes".

Unter den Verhafteten: "ein 20jähriger Computerhändler ... der in der Szene unter dem Pseudonym 'Kimble' bekannt ist, sowie einen 22jährigen, "der ebenfalls als 'zentrale Figur'des Hackerkreises gilt".

Wer jetzt allerdings glaubte, daß diesen Computerkriminellen jetzt erst einmal die Möglichkeit verbaut wurde, den Begriff Hacker in Deutschland weiterhin in Verruf zu bringen, wurde bald eines Besseren belehrt. Der inhaftierte "Kimble" war einer der ersten, die wieder auf freien Fuß gelassen wurden, Von Anfang an bestand ja der Verdacht, es habe sich nur um eine Schutzverhaftung gehandelt, um die Konspirativität nicht zu gefährden (à la Klaus Steinmetz).

Staatlicherseits gab es Stellungnahmen, die den Eindruck aufkommen ließen, die Gruppe würde unter dem Kapitel "organisierte Kriminalität" behandelt, Irgendwann im Laufe des Jahres wurde er dann mal wieder kurzzeitig verhaftet, nunmehr als Bandenoberhaupt einer Calling-Card-Verkaufs-Bande behandelt, aber auch das hielt nicht lange an.

Allerdings sind wohl allerlei Kimble bekannte Leute von ihm belastet worden, sie wären die "wahren" Banden-Häuptlinge (was für staatliche Stellen natürlich ungemein die Arbeit erleichtert, herauszufinden wer denn sonst noch so in dieser Szene hängt).

Soweit, so schlecht. Unabhängig von diesem Mammut-Ermittlungsverfahren gab es darin im Sommer noch eine größere Anzahl von Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von Mailboxen; der immergleiche Vorwurf: illegaler Handel mit urheberrechtlich geschützten Programmen.

Als hinreichender "Beweis" für diesen Straftatbestand, bzw, als Begründung für eine Hausdurchsuchung zwecks Auffindens von Beweismitteln, reicht den entsprechenden Staatsanwälten ein einfacher Protokoll-Ausdruck aus einer Mailbox, wo z.B. der Systembetreiber in einem Chat zugibt, mit Software zu handeln, Vorrausgesetzt, ein solcher Protokoll-Ausdruck kommt aus seriöser Hand.

So etwas zu fälschen, das weiß jeder Benutzer einer Textverarbeitung, ist kein Problem. Der andere Punkt, daß jeder Computerhenutzer de facto meist auch ein Straftäter bzw, ein Besitzer nicht-lizensierter Software ist, ist auch allen klar. Und um daraus einen kausalen Zusammenhang zu bilden, muß man eigentlich nur noch wissen, daß es natürlich bezahlte "Testkäufer" und andere Zuarbeiter (oder sollte man "Menschenjäger" sagen?) der Gravenreuth'schen Anwaltskanzlei gibt.

Braucht man eigentlich nur noch die Telefonnummern von entsprechenden Mailboxen, die Namen der Betreiber etc. - aber an so etwas ranzukommen ist ja kein Problem, wenn man selbst so eine Mailbox betreibt.

In unserem Fortsetzungskrimi über Münchner Urheberrechtsanwälte, die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz und den Einsatz von "agents provocateurs" in der Hackerszene, lesen Sie in der nächsten Folge: wie der Agent mit Hilfe des Anwalts eine "Sneakers-Firma" aufbaut, wer davon profitiert, und was die Lufthansa damit zu tun hat. Stichwort: Data Protect GmbH.

 

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